Still sitzen ist kein Lernerfolg – warum Fidgeten klüger ist als Gehorsam

Manche Kinder zappeln, weil sie nicht anders können. Andere, weil sie sonst innerlich explodieren würden. Und wieder andere, weil Schule ihnen beigebracht hat, dass Stillsein gleich Lernen ist – ein Reflex, so tief verankert, dass er längst jeden Sinn verloren hat. Über Jahre wurde ihnen eingebläut: Wer ruhig sitzt, ist konzentriert. Wer sich bewegt, stört. Dabei stimmt das Gegenteil. Kinder, die wippen, tippen oder mit dem Stift spielen, sind oft gerade deswegen aufmerksam – weil sie wippen, tippen oder spielen. Sie halten sich mit Bewegung im Denken. Das, was nach Unruhe aussieht, ist in Wahrheit Selbststeuerung.

Wir haben eine Schule gebaut, die das verwechselt. In der Konzentration aussieht wie Gehorsam. In der Ruhe als Leistung gilt und Bewegung als Störung. Ein Kind, das still sitzt, gilt als aufmerksam – auch wenn es geistig längst ausgestiegen ist. Ein Kind, das wippt oder klickt, gilt als unruhig – auch wenn es gerade völlig im Flow ist, hellwach und mitten im Denken. Ruhe ist kein Beweis für Aufmerksamkeit, sondern oft nur ein Zeichen für Anpassung. Lehrkräfte wollen Stille, weil sie Ordnung verspricht. Aber Lernen war nie ordentlich. Lernen ist Chaos, und Bewegung ist die Art, wie der Körper dieses Chaos kanalisiert.

Stimming – das, was dein Körper macht, wenn dein Kopf nicht mehr mitkommt

„Stimming“ nennt man das: Bewegungen, die das Nervensystem nutzt, um nicht durchzudrehen. Tippen, trommeln, wippen, irgendwas in der Hand halten. Autistische Menschen brauchen das zur Reizregulierung, Menschen mit ADHS zur Dopaminsteuerung, Tourette-Betroffene zum Spannungsabbau. Aber ehrlich gesagt – fast alle neurodivergenten Schüler:innen mit ASS und ADHS machen es. Nur dass manche gelernt haben, es zu verstecken. Und genau da fängt der pädagogische Fehler an: Wenn man Bewegung als Störung liest, statt als Versuch, klarzukommen, hat man das Prinzip von Lernen nicht verstanden.

Fidgets – kleine Stücke Kontrolle in einer lauten Welt

Fidgets sind keine Gimmicks. Sie sind der Versuch, Bewegung sozial verträglich zu machen – dasselbe Bedürfnis, nur in die Hand verlagert. Der Unterschied: spontanes Stimming ist sichtbar, manchmal laut, schwer steuerbar. Fidgets sind gezähmte Regulation – ein Werkzeug, kein Spielzeug. Das kann ein simpler Stressball sein, ein Knetwürfel, ein endlos drehbarer Fidget Cube, ein leiser Spinner, eine weiche Texturkugel oder ein Silikonring, der sich unauffällig drücken lässt. Wichtig ist nicht die Form, sondern die Funktion: etwas in den Fingern zu haben, das Widerstand, Rhythmus oder Struktur gibt.

Gerade neurodivergente Schüler:innen – etwa mit ADHS, Autismus oder Tourette – profitieren davon enorm. Für sie sind Fidgets kein nettes Extra, sondern eine Voraussetzung, um Reize zu filtern und bei der Sache zu bleiben. Leichte, rhythmische Bewegung stabilisiert die Aktivierung im Gehirn und ermöglicht Konzentration überhaupt erst. Oder einfacher gesagt: Wer sich ein bisschen bewegt, bleibt im Kopf präsent.

Der Versuch, das passende Fidget zu finden

In der Theorie klingt das schön – Kinder dürfen Fidgets nutzen, alle sind entspannt. In der Realität ist es ein Desaster aus Klicken, Rascheln, Herunterfallen und verlorenen Gummibällen. Das passende Fidget zu finden ist schwerer als ein funktionierendes Smartboard. Ich verstehe die Kinder da sehr genau. Still sitzen war für mich schon immer körperlicher Stress, vor allem während meiner Schulzeit. Noch heute spiele ich immer mit irgendwas, sei es im Unterricht, bei Konferenzen oder auf Fortbildungen. Mein Fidget war irgendwann das Batteriefach der Beamer-Fernbedienung in jedem Klassenraum. Perfekter Widerstand, gutes Geräusch – bis der Deckel abbrach. Neukauf. Dann wieder. Ich habe das Teil geliebt und gleichzeitig zerstört. Seitdem weiß ich, dass Selbstregulation ihre eigene Zerstörung mitbringt. Kinder machen das genauso. Sie klicken, drücken, drehen – bis etwas nachgibt. Nicht aus Bosheit, sondern weil ihr Bedürfnis nach Reiz, Kontrolle oder Rhythmus stärker ist als das Material. Genau deshalb muss man bei der Auswahl auf Haltbarkeit achten: lieber wenige, robuste Fidgets als Kisten voller Wegwerfartikel.

Wie man’s richtig macht

Fidgeten ist kein Hobby, sondern ein Versuch, Kontrolle zu behalten. Wer ständig mit etwas spielt, tut das nicht, weil ihm langweilig ist, sondern weil der Kopf nach Reizsteuerung verlangt. Das Gehirn sucht nach Spannung – und wenn Bewegung hilft, will es mehr davon. Genau das muss Unterricht ernst nehmen. Fidgets sind keine Spielzeuge, sondern Werkzeuge zur Regulation.

Damit sie funktionieren, braucht es klare Regeln:

  1. Fidgets sind Werkzeuge, keine Spielzeuge.
  2. Kinder müssen wissen, warum sie sie benutzen.
  3. Kein Geräusch. Kein Klick, kein Rascheln.
  4. Fidget-Korb für alle – nicht nur für die „Zappelphilippe“.
  5. Lehrer:innen dürfen selbst eins benutzen.
  6. Wenn’s stört, wird’s gewechselt, nicht verboten.

Das Ziel ist nicht Kontrolle, sondern Selbststeuerung.

Fazit

Fidgets sind kein modischer Kram, sondern Pädagogik mit Menschenverstand. Wer Bewegung erlaubt, fördert Denken. Wer sie verbietet, trainiert Gehorsam. Aber das richtige Fidget zu finden ist eine Kunst. Und am Ende bleibt die einfachste Wahrheit: Aufmerksamkeit entsteht nicht durch Stille, sondern durch Bewegung, die man endlich aufhört zu bekämpfen.

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