Es gibt diesen Irrtum, der sich hält wie Schimmel an der Wand: Mathematik an der Hauptschule = Rechnen light. Grundschule Plus, Deluxe-Edition. Aber das stimmt nicht. Mathematik ist Mathematik. Ob Gymnasium, Realschule oder Hauptschule – der Kern bleibt derselbe. Regeln runterbeten reicht nicht. Und genau das macht Building Thinking Classrooms (Denkende Klassenzimmer) gnadenlos sichtbar. BTC ist kein Methodenspielzeug, BTC ist ein Konzept.
Jeder kann Bruchrechnung – bis …
… ein Schüler im BTC fragt: „Warum darf ich das?“
Häufig wird dann das Schulbuch aufgeschlagen. Darauf verwiesen, darauf gezeigt. Regel runterleiern, zwei Beispiele, fertig. Das klappt – solange niemand denkt. Im BTC ist das vorbei. Dann steht man plötzlich nackt da. Die Kids stolpern, fragen, bohren. Und „Das ist halt so“ reicht nicht. Da braucht es Fachlichkeit. Echt, tief, manchmal schmerzhaft.
Blenderdidaktik fliegt auf
Vorbereitungsdienst. Ich hospitiere im Unterricht. Lehrer schreibt an die Tafel:
\(2^{1/2} = 2{,}5\)
Ich am Ende der Stunde unter vier Augen: „Ich glaube, das stimmt mathematisch nicht.“
Er, pampig: „Doch, das schreibt man so. Das musst du doch wissen. Du hast doch Mathematik studiert.“
Ich tippe es in den Taschenrechner, zeige:
\(2^{1/2} = \sqrt{2} \approx 1{,}414\)
Er beharrt: „Ist optisch schöner. Die Kinder kommen damit besser klar. Ich mache das immer so.“
In dem Moment war klar: Das ist kein Rechnen, das ist Blendwerk. Wer so arbeitet, verkauft den Kids eine Mathe-Attrappe. Spätestens in der Berufsschule fliegt sowas auf – und dann sind nicht die Lehrkräfte die Deppen, sondern die Kids. Und das ist scheiße.
Und das ist kein Einzelfall. An vielen Schulen, an denen ich war, stand auch schon öfter auf Lernplakaten von Lehrkräften:
„Minus und Minus wird Plus.“
Zum Abschreiben. Fachlich falsch. Das ‚und‘ suggeriert einen logischen Junktor, hat aber in der algebraischen Struktur der reellen Zahlen keinerlei Operatorstatus. Es ist schlicht sprachlicher Müll. Genau diese „kleinen“ Ungenauigkeiten sind das Gift: Sie wirken harmlos, aber sie zerfressen heimlich Verständnis – und im BTC fallen sie sofort auf.
Nicht fachfremd vs. fachfremd – sondern: Verstehen vs. Rezepte
Ich will nicht über einen Kamm scheren. Ich habe Kolleg:innen, die fachfremd Mathe unterrichten – und pointiert perfekte Merksätze an die Tafel hämmern. Kein Mathe-Studium, aber Mathe verstanden. Stoff so klar aufbereitet, dass man es feiern muss. Fachfremd ist nicht automatisch schlecht. Fachlich sattelfest ist nicht automatisch gut. Entscheidend ist: Wer Mathematik versteht, kann BTC unterrichten. Wer nur Rezepte kennt, nicht.
Fachlich stark heißt didaktisch klar
Ich hab Mathe studiert. Bachelor, Master, Ref. Und trotzdem erwische ich mich, wie ich bei Merksätzen wieder genauer nachschlage, weil die Kids Fragen stellen, die mich zurück in die Bibliothek prügeln. Ich schätze Kolleg:innen, die fachlich wirklich sattelfest sind, mittlerweile höher als die besten Methodenkünstler:innen.
Die versteckte Hürde
Und vielleicht ist genau das die eigentliche Hürde an dem Konzept: Von außen klingt es nach „coolem Gruppending“ – Whiteboards, Zufallsgruppen, mündliche Aufgaben, Gallery-Walk. Sobald Kolleg:innen sich reinarbeiten, merken sie: Der Knackpunkt von BTC ist die Fachlichkeit. Eine Stunde, die zu viele Merksätze gleichzeitig jagt oder eine überladene Aufgabe baut, kracht. BTC funktioniert nur, wenn man weiß, wie Mathe kleinteilig zusammenhängt, welche Fehlvorstellungen die Kids haben, und das präzise übersetzen kann. Ohne dieses Verstehen wird das Konzept nicht radikal – sondern Chaos.
Fazit
BTC ist ein Fachlichkeits-Schocktest. Es zersägt das gesellschaftliche Märchen „Mathe kann jede:r unterrichten“. Wer Mathe nur oberflächlich kennt, wird enttarnt. Wer sie verstanden hat, merkt: Die Kids verstehen auch. Am Ende geht’s nicht um Rechnen. Es geht ums Denken.

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