Das Schweigekartell im Lehrerzimmer: Warum wir über alles reden, nur nicht über guten Unterricht

Anderthalb Jahre hab ich eine Referendarin begleitet. Mathe. Ich saß hinten, sie vorne. Zwei Sätze von ihr, und ich wusste: Jackpot. Oder Totalschaden. Winzige Nuancen, die das Ding kippen lassen. Genau die Sachen, die in diesen staubigen Theoriebüchern stehen, über die alle im Ref die Augen verdrehen. Withitness. Momentum. Rituale. Struktur. Kein Luxus. Fundament.

Das ungeschriebene Gesetz

Und hier kommt die bittere Pointe: Im Lehrerzimmer reden wir über alles – außer Unterricht. Eltern, Bürokratie, „diese 6a“ – ja. Aber Unterricht? Schweigen.

Wir sitzen da wie in so ’nem Schweigekartell: Jeder weiß, dass’s knarzt, keiner spricht’s aus. Stattdessen reden wir über Aufsichten, über kaputte iPads, über den Lärm im Flur. Einer regt sich über den Vertretungsplan auf, der Nächste über fehlende Räume – und wenn gar nichts mehr geht, kriegt der Kopierer die Schuld. Die Gründe? Klar, die liegen immer draußen: Ministerium, Eltern, krasse Kids. Alles nicht gelogen – aber keiner sagt: Wir müssen auch selbst was ändern. Unser Unterricht. Unsere Haltung. Genau da bleibt es still.

Man hält am Alten fest, nennt es „altbewährt“ – aber bewährt ist es nicht.

Reflexion? Gab’s im Ref. Danach kam der 28-Stunden-Hammer, dazu Korrekturen, Konferenzen, Schul-App-Gebimmel von Eltern um 22:30. Wer da noch Bock hat, über didaktische Feinheiten zu reden, kriegt ’nen Orden.

Raum statt Rezepte

Das Paradoxe: An Programmen, Tests, Tools mangelt’s nicht. Mangelt’s nie. Was fehlt: Raum. Zeit. Ehrlicher Wille. Zwei Stunden pro Halbjahr, um bei Kolleg:innen reinzuschauen. Hospitationen. Reden. Schrauben statt Zaubern.

Wir bräuchten eine Haltung wie bei ’ner Fuck-Up-Night: „Hier, meine Stunde ist krachend gegen die Wand gefahren – helft mir mal.“ Stattdessen tun wir so, als hätten wir alles im Griff. Als wäre Unterricht so privat wie Zahnbürstenbenutzung.

Von der Seitenlinie

Wenn dann die Ministerien ihre Programme schicken, klingt’s wie: „Wirf das System von außen um.“ Aber Schule läuft nicht von außen. Wir sind das System. Wir halten es am Laufen – oder eben nicht. Und genau deshalb blockieren wir so gerne, wenn jemand mit Befehlen kommt.

In der Apple-Serie KRANK sagt ein Arzt zur neuen Chefärztin der Notaufnahme: „Wir schmeißen das System von der Seitenlinie.“ Exakt so fühlt sich Schule an. Nicht die Ministerien halten das Ding am Leben, sondern wir, die Leute im Raum. Wir retten täglich mit privat bezahlter Tafelkreide, damit das Ganze nicht implodiert. Aber: Wer von der Seitenlinie schmeißt, reflektiert selten, wie er schmeißt.

Und genau da geht Unterrichtsqualität verloren. Nicht, weil jemand bösartig wäre – sondern weil man in Dauer-Überforderung einfach nur noch versucht, das Chaos in Schach zu halten.

TikTok-Pädagogik und andere Placebos

Also klammern wir uns an Spielzeug. Fitnessband am Stuhlbein. TikTok-Hacks. Supermethoden mit fancy Namen. Funktioniert genau eine Woche. Danach hängen die Kids wieder schief überm Tisch, und wir hängen wieder in unserer Erschöpfung.

Methodenfeuerwerk? Nett. Aber ohne Fundament – Struktur, Lernzeit, Rituale – bleibt es nichts weiter als pädagogisches Placebo. Schöner Schein, null Substanz.

Schrauben statt Zaubertricks

Es gibt nicht den guten Unterricht. Es gibt nur tausend kleine Schrauben. Aufgaben präzisieren. Übergänge retten. Erwartungen klar machen. Schüler:innen im Blick behalten, auch wenn du gerade einem Einzelnen hilfst.

Jede Schraube für sich? Lächerlich klein. Zusammen? Motor. Aber nur, wenn man ständig checkt: Läuft das Ding noch – oder blockiert er?

Fazit: Reden wir endlich über Unterricht

Das eigentliche Problem ist nicht die Bürokratie. Nicht TikTok. Nicht die Eltern. Das Problem: Wir Lehrer:innen reden nicht über Unterricht. Wir reden über alles andere. Aber nicht darüber, was eigentlich unser verdammter Job im Klassenraum ist.

Unterricht ist kein Wunder, das vom Himmel fällt. Er ist Schraubenschlüssel-Arbeit. Dreckig, schmerzhaft, wiederholen, scheitern, nochmal von vorn. Er braucht Mut. Zeit. Reflexion. Und Kolleg:innen, die sich trauen zu sagen: „Das war Mist.“ Ohne gleich im Boden zu versinken.

Vielleicht sollten wir tatsächlich wieder Hilbert Meyer aus dem Regal holen. Nicht als Vorschrift. Sondern als Startpunkt. Und dann ehrlich auseinandernehmen, was Bullshit ist. Um zu beweisen: Wir können mehr als Methoden-Bingo mit A13.

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