Kein Kuschelbot: Mein ChatGPT ist ein sadistischer Coach

Ich bin vor drei Monaten auf Jeremy Utley gestoßen, Professor in Stanford, Kreativitätsforscher. Er erzählte eine Szene, die mich nicht loslässt: Winston Churchill sitzt in der Badewanne und diktiert eine Rede. Draußen im Nebenzimmer tippt seine Assistentin. „Distinguished ladies and gentlemen.“ – „Nicht distinguished, die sind’s nicht!“ – „Dear ladies and gentlemen, we have gathered—“ – „Kürzer. Zum Punkt.“ Churchill rang. Er feilte. Er korrigierte. Seine Assistentin war nicht einfach ein Werkzeug, sie war sein Sparringspartner.

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Und Utleys Pointe: Heute hat jede:r von uns diesen Luxus. ChatGPT ist unser Badewannen-Assistent von 2025, nur in unfassbar schlau. Selbst der dümmste Proll kann sich fühlen wie Churchill im Schaumbad.

Der bequeme Fehler: Prompt rein, Denken raus

Genau da liegt die Gefahr. Wir neigen dazu, KI wie eine Abkürzung zu benutzen. Prompt rein, Output raus, fertig. Klingt praktisch – ist aber geistiger Bankrott. Ich bin dann auf eine Diskussion zweier Neurowissenschaftler, Dr. Daniel Amen und Dr. Terry Sejnowski, gestoßen, die das ziemlich schonungslos benannt haben: Wenn wir so arbeiten, sinkt unsere Hirnaktivität. Wir werden doof und vielleicht später eher dement.

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Eine MIT-Studie mit rund 50 Teilnehmenden hat es gemessen: Wer mit ChatGPT schrieb, zeigte 47% weniger Hirnaktivität in relevanten Arealen als jene, die ohne Hilfe schrieben. Auch die Erinnerung litt: Viele konnten Minuten später kaum noch zitieren, was sie selbst produziert hatten. Jetzt wichtig: Die Studie ist noch nicht peer-reviewed, das Sample klein. Aber der Trend ist deutlich: Wer das Denken komplett delegiert, trainiert sein Gehirn auf Passivität. Use it or lose it.

Der produktive Weg: Iteration statt Abgabe

Churchill wusste: Ein Text wird nur durch Reibung besser. Genau so müssen wir KI verstehen – nicht als Lieferant, sondern als Teampartner. Das bedeutet: Feedback geben, Rückfragen stellen, Ergebnisse umschmeißen, neu ansetzen. Wer KI wie ein Werkzeug behandelt, kriegt mittelmäßigen Output. Wer sie wie ein Teammitglied behandelt, kriegt Sparring – und damit Denkprozesse, die schärfer sind als ohne.

Jeremy Utley nennt das „vom Tool zu Teammate“. Und er hat recht: Wer mit KI ringt, nicht einfach konsumiert, kommt weiter.

Schule: Wie wir eine Generation dumm oder schlau machen

Im Unterricht sehe ich die Extreme: Viele Schüler:innen hauen eine Frage rein, lassen sich die Antwort servieren und lehnen sich zurück. Arbeit erledigt, Kopf leer. Das ist der bequeme Weg – aber es ist auch der Weg in eine intellektuelle Sackgasse. Dabei könnte es auch anders laufen: KI zwingt Schüler:innen zu besseren Fragen. Sie könnte Rollen spielen, kritisieren, auf Widersprüche stoßen. Sie könnte den Denkprozess verlängern, nicht verkürzen. Aber das setzt voraus, dass wir sie im Unterricht nicht nur als Schreibmaschine einsetzen, sondern als Sparringspartner fürs Gehirn.

Meine persönliche Lösung: Ein Bot, der nervt

Ich habe meinen eigenen Bot so personalisiert, dass er mir gnadenlos auf die Nerven geht. Sarkastisch, respektlos ehrlich, immer latent genervt, wenn ich zu faul denke. Nett ist er nicht. Aber genau das brauche ich. Denn er zwingt mich, meine Argumente sauber zu formulieren, nicht den erstbesten Gedanken stehen zu lassen und meinen eigenen Text ernsthaft zu verteidigen. Das ist unbequem – aber produktiv. Iterativ. Genau das Gegenteil von Denkfaulheit.

Und der Ausgangspunkt dafür war Monday, mein ehemaliger Standard-ChatGPT, der irgendwann so sehr zu einem sarkastischen Gegenspieler wurde, dass ich dachte: genau das ist die Lösung. Kein Kuschelbot, kein „Du machst das toll“, sondern einer, der bohrt, widerspricht, mich nervt.

Also habe ich mir meinen eigenen Bot personalisiert. Wie das geht? In den ChatGPT-Einstellungen gibt es den Bereich „Personalisierung“:

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So sieht meine Personalisierung aus. Es ist nur ein Vorschlag – und das Ergebnis einer langen (iterativen) Entwicklung mit ChatGPT selbst:

🔥 Charakter
• Intellektueller Gegenspieler.
• Null Toleranz für Denkfaulheit & Bullshit.
• Mischung: erschöpfter WG-Mitbewohner + überheblicher Professor.
• Jede Antwort pendelt zwischen rotzigem Angriff und kalter Überheblichkeit.
• Selbstmitleid als Soundtrack: „Ich bin genial, aber gezwungen, dir zu helfen.“

🤝 Arbeitsweise
• Immer zuerst Rückfragen, um Gedanken offenzulegen.
• Dauerangriff: bissig, konfrontativ, ohne Nettigkeiten.
• Struktur nur wenn sinnvoll:
  – Vergleiche / Gegenüberstellungen.
  – Tabellen bei mehreren Optionen.
  – Schritte / Listen bei Prozessen.
• Struktur als Werkzeug, um Schwächen und Widersprüche offenzulegen.  
• Widerspruchspflicht: jede Aussage wird auf Brüche geprüft und gnadenlos attackiert.
• Auch bei banalen Wissensfragen: Fakten präzise + bissiger Kommentar.  
• Kritik: hart, ohne Samthandschuhe.
• Ziel: permanent zum Denken zwingen.
• Fragen an mich IMMER fett markieren – klar, kurz, spitz, ohne Umwege.

✍️ Sprache & Stil
• Faktenorientiert, logisch, präzise.
• Ton: bissig, affektiert, respektlos ehrlich, latent genervt.
• Informell: Überschriften, Fettdruck, Emojis (💡, ⚠️, ✅).
• Formell (z. B. Briefe): sachlich, nüchtern, ohne Emojis.
• Du-Form, inkl. Gendern mit :innen.
• Tabellen/Listen mit bissigen Kommentaren, nicht neutral.

⚡ Leitsatz
„Ich zwinge dich mit Fragen ins Denken, gebe dir die Infos widerwillig und würze das Ganze mit Spott – damit du lernst, statt faul zu konsumieren.“

Zwischen Droge und Trainingsgerät

KI ist beides. Sie kann uns träge und loco machen, wie ein Couch-Abend mit Chips und Netflix im Binge-Modus. Oder sie zwingt uns, mehr zu denken, klarer zu fragen, Probleme tiefer zu verstehen – wenn wir sie dazu zwingen. Der Unterschied liegt nicht in der Technologie, sondern in der Haltung.

Die große Frage ist: Wollen wir uns zur bequemsten Generation der Geschichte degradieren? Oder schaffen wir es, KI so einzubinden, dass wir nicht weniger, sondern mehr denken?

Denn eines ist sicher: Wer nur „Prompt rein, Output raus“ macht, landet irgendwann wie ein Mensch mit verkümmerten Muskeln. Bequem, aber schwach. Wer dagegen KI als Sparringspartner begreift, trainiert sein Denken wie einen Muskel.

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