Building Thinking Classroom (kurz: BTC, deutsch: Denkende Klassenzimmer) fühlt sich an, als hätte jemand meinen Unterricht gehackt. Und ich stehe daneben wie der IT-Opa, der noch mit Windows 95 kämpft. Ich geh rein als Lehrer – und steh plötzlich da wie Zuschauer bei ’nem Twitch-Stream. Nur dass es mein Spiel war. Und die Schüler:innen haben es zu ihrem gemacht.
Mein größter Fehler
Ich hab bei der Stundenplanung mit den Aufgaben angefangen. Weil die mir am schwersten fielen. Liljedahl sagt „Rich Tasks“. Ich sag: Kopfweh. Mein Gedanke: „Wenn ich die irgendwie hinkriege, läuft der Rest der Stunde von allein.“ Falsch gedacht. So falsch wie Ikea-Regal ohne Schrauben.
Ich hab Aufgaben gebastelt, dann krampfhaft versucht, daraus Merksätze zu zimmern. Flickwerk. Bis ich gerafft hab: Das Thema und die Aufgaben sind nicht der Start. Das Lernziel ist es. Also: erst ein richtig guter Merksatz, dann die Aufgabe. Klingt simpel. Ist aber das Gegenteil vom Schulbuch.
Bücher tun so, als würde sich der Merksatz magisch aus Übungen ergeben. Erst wird brav erklärt, dann kriegst du ’ne Aufgabenstrecke. Da basteln die Kids fleißig nach – wie Lego mit Anleitung. Funktioniert 20 min, klar. Nur: denken müssen sie dabei nicht. Und zehn Minuten nach dem Klingeln ist das Meiste wieder weg.
Im Thinking Classroom muss man destillieren, klarer, härter, brutaler, anders.
Pädagogik-Karaoke
Am Anfang hab ich mir die Phasen des Konzepts getauft wie in einem schlechten Start-up: Kick-off, Prep · Team Sprint, Elevator-Pitch, Memory-Pitch. Sah schick aus auf durchgestylten Folien, gab Struktur, half mir klarzukommen, war aber mein Lehrproben-Reflex von damals. Da lernt man: Kids müssen immer wissen, in welcher Phase sie sind. Schön sichtbar, immer klar benannt. Ist aber Bullshit. Wenn die Kids das Konzept checken, brauchen sie kein Namensschild. Sie kennen das Game, sie spielen es.
Von Döner zu Masala
Ich hab noch nie so dynamischen Unterricht erlebt. Jede Stunde läuft anders. Planbar, aber nie vorhersehbar. Ergebnis am Ende? Meist – aber nicht immer – identisch: ein sauberer Merksatz im „Pitch-Book“ (mein Merkheft). Aber der Weg dahin? Komplett unterschiedlich.
Früher war mein Unterricht wie mein Lieblings-Döner-Laden: schnell, solide, macht satt – aber am Ende austauschbar, nichts, was lange in Erinnerung bleibt. Jetzt indisches Streetfood: überwältigend viele Aromen, Gewürze, Farben. Man kommt vor lauter Geschmacksfarben kaum klar – aber danach weiß man, was gutes Essen wirklich ist. Und warum man’s immer wieder will.
Und das Krasse: Die Kids wollen es auch. Einer sagt: „Ey, Elisha rechnet schneller als Taschenrechner.“ Ein anderer pusht seinen Mitschüler: „Digga, deine Tafel ist Hammer.“ Kein Cringe, kein Gegeneinander. Auf einmal wechselseitige Anerkennung und Teamgeist statt Ego-Show.
Zahnarzt ohne Betäubung
Rich Tasks entwickeln ist wie Wurzelbehandlung beim Zahnarzt – ohne Betäubung. Schmerzhaft. Das Schulbuch ist dabei ungefähr so hilfreich wie die Zeitschriften im Wartezimmer.
Also hab ich mich zurückgearbeitet: Lernziel → Aufgabe. Klingt trivial, ist Höllenarbeit. Ich hab mir iterativ einen eigenen GPT gebaut – mein kleiner Mathe-Sklavenroboter. Er spuckt erst Aufgaben aus, sobald das Lernziel klar und eindeutig ist. Ich fluche manchmal drüber. Nicht perfekt, aber besser als alles, was die Schulbuchverlage aktuell abliefern.
Und ja: Am Ende einer Stunde steht oft nur eine Aufgabe, ein Twist, ein Merksatz. Früher waren’s 20 Aufgaben. Heute eine. Aber die knallt.
Alexa mit kaputtem Mikrofon
Die größte Qual: Ich helfe nicht. Ich geb keine Tipps. Ich beantworte keine Fragen. Ich bin basically Alexa mit kaputtem Mikrofon. Das auszuhalten, war für mich die Hölle.
Also hab ich angefangen, mich selbst zu beschäftigen: Klassenlehrer-Orga, E-Mails, Nebenkram. Ich hör und seh trotzdem alles, klar. Aber ich versteck mich mittlerweile oft hinterm MacBook, damit sie lernen: Kaucke hilft nicht. Sie müssen selber denken.
Und sie lernen es. Sie beißen sich rein. Sie stehen da, 15 Minuten, 20 Minuten – ohne mich. Und irgendwann hör ich: „Ahhh!“ aus einer Ecke. Eine Lösungsidee. Und dann rattert die ganze Klasse.
UB-Feeling ohne Ref-Stress
Ich fühl mich oft arbeitslos. Aber wie arbeitslos auf High: als hätte ich gerade eine geile UB-Stunde hingelegt. Nur ohne Ref im Nacken, ohne Nachbesprechung, ohne Notendruck.
Manchmal wünsch ich mir Kameras im Klassenraum. Nicht für TikTok, sondern als Beweis: Ey, das funktioniert wirklich.
Mein Fazit
Thinking Classroom zwingt einen, anders zu planen. Härter, reduzierter, ehrlicher. Mit dem Lernziel anfangen. Das verdichten und klar haben. Dazu weniger Aufgaben. Härtere Aufgaben. Weniger reden. Mehr denken. Weniger Show. Mehr unsichtbare Struktur.
Ich hab noch keine Klassenarbeit geschrieben, also keine harten Zahlen. Aber das Gefühl? Es ist anders. Es bleibt mehr hängen. Die Kids sind cooler miteinander geworden. Sie lernen – wirklich.
Und ich? Ich bin jede Stunde sprachlos, ein bisschen glücklich arbeitslos – und ziemlich sicher: Genau so macht Schule wieder Sinn.

Sag mir die Meinung. Bleibt privat. Wird nicht veröffentlicht.