Mein größter Struggle im Alltag gerade? Pünktlichkeit. Klingt banal, ist aber Kriegsschauplatz. Für meine Schüler:innen ist „zu spät kommen“ Standard. Zwei Minuten, zwanzig Minuten. Reintrampeln, halb verschlafen, Rucksack offen. Für sie nix. Für mich: Stunde kaputt. Unterricht im Netflix-Modus: immer kurz vorm Spannungsbogen – Buffering.
Und ich? Hardcore allergisch. Unpünktlichkeit ist für mich wie Fingernägel auf Tafel. Ich bereite meine Stunden vor, ich glaube an ihren Wert – und dann killt mir ein verspätetes „Morgen, Herr Kaucke“ alles.
Null Toleranz – Elternbrief Edition
Also habe ich die Schrauben angezogen. Elternbrief raus, Einverständnis eingeholt, keine Weichspülerei. „Bus war zu spät“? Zählt nicht. Müllwagen im Weg? Egal. Nur wenn nachweislich die letzten zwei Busse komplett ausfallen, gibt’s Mitleid. Alles andere: Nachsitzen.
Klingt streng? Soll es auch. Ich will, dass sie merken: Pünktlichkeit ist keine Empfehlung, sondern Pflicht. In zwei Jahren sitzen die bei ihrer Chefin, nicht mehr bei mir. „Sorry, der Müllwagen stand im Weg“ bringt dir keine Ausbildung, sondern höchstens ein „Tschüss“.
Pädagogik mit Unsicherheitsfaktor
Jetzt wird’s böse: Ich kann das Nachsitzen gar nicht immer organisieren. Eigene Termine, Unterrichtsausfall, keine Aufsicht – passiert. Also hab ich den Spieß umgedreht: Ich kündige Nachsitzen nie an. Es kann passieren – oder auch nicht.
Das macht’s fieser. Russisches Roulette der Pädagogik. Freitag 12:30 Uhr, die Sonne ballert, alle rennen nach Hause – und ein:e Schüler:in bleibt hängen. Weil er:sie morgens dachte, zwei Minuten wären egal.
Ja, das ist psychologisch schmutzig. Aber genau deshalb wirksam.
Reden statt Rumdrucksen
Ich hab’s nicht heimlich eingeführt. Ich hab mit meiner Klasse drüber gesprochen. Neunte. Praktikum steht vor der Tür, Arbeitswelt schon im Nacken. Da draußen interessiert es niemanden, ob der Bus zu spät kam oder der Wecker stumm blieb. Arbeitgeber:innen erwarten dich pünktlich. Ende.
Und siehe da: Die Schüler:innen verstehen es. Nicht begeistert, klar. Aber sie checken: Das ist kein Lehrer-Tick, sondern Realitätstraining. O-Ton Schülerin: „Heftig, aber stimmt schon. Im Praktikum kann ich auch nicht einfach zu spät kommen.“
Und das Krasse: Manche nehmen jetzt tatsächlich den früheren Bus. Sie sind deutlich pünktlicher. Es geht also doch.
Wo das Problem eigentlich liegt
Natürlich weiß ich auch: Zeit wird vielen gar nicht vorgelebt. Schule ist strukturierter Ort – Elternhaus nicht unbedingt. Nicht alle Eltern haben Arbeit, nicht alle wissen, was Pünktlichkeit bedeutet. Manche Kids haben niemanden, der morgens mit ihnen aufsteht oder mal „Tschüss“ sagt.
Das ist bitter. Und genau deshalb landet’s bei mir. Ich bin dann derjenige, der mit Mikro-Maßnahmen das nachholt, was zuhause fehlt. Kein großes Erziehungsprogramm, nur kleine, harte Erinnerungen: Wenn du zu spät bist, kostet es dich.
Es tut weh – aber nicht wirklich
Und ehrlich: Es ist auch nicht die Apokalypse. Wenn Schüler:innen an einem Freitag mal nicht um 13:30 Uhr zu Hause sind, sondern erst um 14:00 Uhr – dann geht die Welt nicht unter. Dann fällt halt der erste Energy-Drink im Park aus. Tut weh, fühlt sich mies an – aber am Ende? Kein Drama.
Kein Michaela – nur ich
Das Ganze hab ich mir nicht ausgedacht. Ich hab gelesen, wie die Leute an der Michaela School in London das machen: Null Toleranz, absolute Konsequenz, keine Ausreden. Radikal ehrlich. Und ich dachte: Krass. So was bräuchte es bei uns auch.
Nur: Ich hab keine Institution im Rücken, die das für mich organisiert. Keine eingespielten Routinen, keine Armee an Lehrkräften, die jeden Schritt mitträgt. Ich hab nur mich – und die Stunden, in denen ich gerade Zeit habe. Deshalb passiert Nachsitzen eben nicht immer, sondern dann, wenn ich’s möglich machen kann.
Und genau darin liegt der Trick: Die Schüler:innen wissen nie, wann es knallt. Sie wissen nur: Es kann passieren. Und das reicht schon, um sie nervös zu machen. Um sie dazu zu bringen, einen Bus früher zu nehmen.
Mein Zwiespalt
Natürlich spiele ich bewusst mit der Angst. Ich weiß, das ist böse. Aber mit Kopfgestreicheln bringt man niemanden dazu, pünktlich zu sein. Und ja: Ich sehe, wo die Kinder herkommen. Ich weiß, dass manche Startbedingungen mies sind. Aber die Arbeitswelt nimmt darauf keine Rücksicht. Und wenn ich es nicht vermittle – wer dann?
Fazit
Am Ende geht’s nicht um Strafe, sondern um Respekt. Respekt vor Zeit, vor Arbeit, vor anderen. Und wenn dafür ein bisschen Härte nötig ist – dann sei’s drum. Ich habe Hoffnung. Weil sie’s langsam checken. Weil sie anfangen, früher loszufahren. Weil sie merken: Unterricht ist kein Gleitzeitmodell. Sondern: Pünktlich oder gar nicht.
Der Musterbrief zum Kopieren
Elterninfo – Pünktlichkeit & Materialien
Liebe Eltern,
im letzten Schuljahr kam es leider häufig vor, dass Kinder zu spät zum Unterricht kamen oder wichtige Materialien vergessen hatten.
Das ist nicht nur für die betroffenen Kinder ein Problem – es stört auch den gesamten Unterricht.
Warum das wichtig ist
Wenn Ihr Kind bald ein Praktikum macht oder später arbeitet, wird Pünktlichkeit selbstverständlich erwartet. Zwei Minuten zu spät sind dann nicht „halb so wild“, sondern ein echtes Problem. Gleiches gilt für fehlende Materialien: Wer ohne Taschenrechner, Heft oder Tablet auftaucht, kann nicht arbeiten – und die Leistungen leiden.
Neue Regelung ab sofort
Zu spät oder wichtige Materialien vergessen = Nachsitzen.
Das bedeutet: Ihr Kind bleibt je nach Situation 30 Minuten oder eine Schulstunde länger in der Schule.
Wie das läuft
Nachsitzen wird nicht vorher angekündigt. An manchen Tagen ist es organisatorisch nicht möglich. Dann passiert nichts. An Tagen, an denen es möglich ist, findet das Nachsitzen sofort statt. So entsteht ein gewisser Unsicherheitsfaktor: Die Kinder wissen nicht, wann Konsequenzen folgen – aber sie wissen, dass es jederzeit passieren kann. Genau dieser Faktor soll dafür sorgen, dass Pünktlichkeit und Vorbereitung zur Selbstverständlichkeit werden.
Keine Ausreden
Entschuldigungen wie „Bus war zu spät“, „verschlafen“ oder „Müllwagen stand im Weg“ akzeptiere ich nicht mehr. Nur wenn nachweislich mehrere Verbindungen ausgefallen sind, gilt eine Verspätung als entschuldigt.
Ihre Rolle als Eltern
Es ist Ihre Aufgabe, dafür zu sorgen,
dass Ihr Kind pünktlich zur Schule kommt,
dass es vollständig ausgestattet ist,
und dass schulische Mitteilungen regelmäßig gelesen werden.
Vielen Dank für Ihre Unterstützung – damit Ihr Kind nicht nur in der Schule, sondern auch später im Leben zuverlässig und erfolgreich sein kann.
Freundliche Grüße
Die Klassenleitung

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