Reden wir über Unterricht, reden wir über Fächer. Mathe, Deutsch, Englisch. Punkt. Alles andere fällt in die Kategorie „ach ja, auch wichtig“. Kompetenzen sind so ein Wort, das nur in Curricula glänzt. Wenn Kultusministerien mal wieder schreiben: „Bitte die Digitalkompetenz fördern!“ – dann stöhnt das Kollegium. Und ehrlich: verständlich. Weil es meistens wie so ein nachträglich eingeklebter Post-it wirkt. Am Ende sieht’s so aus: Wir machen weiter unseren Frontalunterricht, schieben zwischendurch einen iPad-Waagen rein, nennen es Innovation – fertig. Sherry-Picking. Heute ein Tool, morgen eine Gruppenarbeit, übermorgen mal eine Präsentation. Aber das große Ganze? Ein geschlossenes Konzept, wie Kompetenzen wirklich wachsen sollen? Fehlanzeige.
Und noch ein Satz, bevor wir tiefer einsteigen: Ich nehme hier bewusst Frontalunterricht als Vergleich. Nicht, weil es die einzige Methode wäre – wir alle haben Gruppenarbeit, Tandems, Methoden-Koffer im Gepäck. Aber die Wahrheit ist: Am Ende des Tages bleibt Frontalunterricht die dominante Unterrichtsform in Deutschland. Etwa 75 % des Unterrichts laufen statisch so.
Aha-Moment: Danke, Martin Fugmann
Ich habe in meinem Unterricht längst gemerkt, dass Building Thinking Classrooms (kurz: BTC, deutsch: Denkende Klassenzimmer) etwas verändert. Kids, die früher keinen Ton rausbrachten, erklären heute Strategien. Präsentationen wurden besser, Kritik wurde direkter, Resilienz wuchs sichtbar. Aber ich konnte es nicht benennen.
Dann kam für mich die Fortbildung „Leadership in der Digitalen Transformation: Lernwirksames Führen für innovative Schul- und Unterrichtsentwicklung“. Dort packte Martin Fugmann das ESCO-Kompetenzrad aus. Und plötzlich war klar: Das, was ich diffus gespürt habe, lässt sich sauber beschreiben. BTC bearbeitet systematisch genau die Kompetenzen, die Frontalunterricht liegen lässt.
Frontal vs. BTC: Fließband vs. Makerspace
Frontalunterricht ist wie ein Fließband: effizient, vorhersehbar, jedes Teil läuft durch, am Ende steht ein standardisiertes Produkt. Klar, das funktioniert – aber wehe, es kommt mal ein anderes Material rein. Dann stottert die Maschine.
BTC dagegen ist ein Makerspace: offen, modular, chaotisch, aber voller Energie. Hier wird ausprobiert, gescheitert, neu gedacht. Projekte wachsen, verändern sich, passen sich an. Es ist farbiger, flexibler, transformativ – und genau deshalb zukunftsfähig.
Und so verhält es sich auch mit Kompetenzen: Frontalunterricht produziert Gleichteile. BTC baut Prototypen, die sich weiterentwickeln können.
Das ESCO-Rad: Kompass für Kompetenzen
Das ESCO-Kompetenzmodell zeigt, worum es eigentlich geht. Im Zentrum: Kernkompetenzen – Mathe, Sprache, Digitales. Drumherum: Kognition, Selbstmanagement, Kommunikation, körperliche und Alltagskompetenzen. Es ist ein Rad – und das dreht sich nur, wenn alle Teile greifen.
Frontalunterricht zielt fast nur auf die Mitte. BTC dagegen bringt das ganze Rad ins Rollen.

Die plakative Gegenüberstellung
| ESCO-Feld | Frontalunterricht | Building Thinking Classrooms |
|---|---|---|
| Kernkompetenzen (Mathe, Sprache) | Stoffverwaltung. Regeln runterbeten, Rezepte ausführen. | Fachlich genauso fundiert – aber eingebettet in Begründungen, Diskussion, Transfer. |
| Kognitiv (Problemlösen, Kreativität) | „Mach’s wie im Beispiel.“ Sobald etwas abweicht: Blockade. | Strategien entwickeln, Umwege gehen, Fehler nutzen. Denken sichtbar. |
| Selbstmanagement (Resilienz, Neugier, Anpassung) | Wer rausfällt, bleibt draußen. Motivation = extrinsisch. | Fehlertoleranz, Dranbleiben, Neugier. Kids steuern sich selbst. |
| Sozial & kommunikativ | Einbahnstraße. Einer redet, Rest hört. | Dauerkommunikation: erklären, kritisieren, präsentieren, Rollen wechseln. |
| Körperlich & motorisch | Dauer-Sitzen. Gehirn im Leerlauf. | Bewegung als Standard: stehen, schreiben, zeigen. Körper = Teil des Lernens. |
Das ist der Unterschied: Frontalunterricht ist Stoff-Spedition. BTC ist Kompetenz-Werkstatt.
Szenen, die den Unterschied zeigen
- Frontal: Ich frage: „Wer präsentiert?“ – drei Hände, immer dieselben. Der Rest sitzt passiv, wie bei Netflix im Autoplay.
- BTC: Jede Gruppe muss ihren Lösungsweg an die Wand bringen. Plötzlich erklärt der stille Typ aus der dritten Reihe, warum der Algorithmus nur für gerade Zahlen funktioniert.
- Frontal: Denkwege verschwinden in Heften. Fehler sieht man nicht.
- BTC: Die Wände sind voller Ideen, Irrtümer, Gegenbeispiele. Fehler sind Daten, nicht Makel.
- Frontal: Wenn der Lehrer schweigt, passiert wenig.
- BTC: Wenn ich schweige, passiert das meiste.
Warum das gerade jetzt zählt
Dabei wissen wir eigentlich, dass Schule mehr leisten muss. Es reicht nicht, den Kids beizubringen, wann „dass“ mit zwei s geschrieben wird. Klar, das ist Basis. Aber in einer Welt, in der ChatGPT Hausaufgaben tippt und Excel kompliziertere Zusammenhänge automatisch analysiert als wir alle zusammen, reicht Fachwissen nicht mehr. Jobs, Beziehungen, Demokratie – alles hängt an diesen „anderen“ Fähigkeiten: Probleme lösen, mit Unsicherheit umgehen, sich selbst steuern, im Team klarkommen.
Wissen bleibt wichtig – Dreisatz, Rechtschreibung, das kleine Einmaleins. Aber KI erledigt das Reproduzieren schneller und besser als wir alle zusammen. In einer Welt, die permanent in Bewegung ist, sind die Kompetenzen außerhalb des Kernkreises das eigentliche Kapital: kreativ Probleme lösen, im Team verhandeln, Kritik aushalten, Resilienz zeigen.
Diese Kompetenzen sind nicht die Kür, sie sind die neue Basis. BTC schafft sie nicht nebenbei, sondern als integralen Bestandteil. Es ist kein Zusatzmodul, sondern die eigentliche Maschine.
Meine Beobachtung im Kleinen
Ich sehe Kids, die früher bei jedem Vortrag gestammelt hätten, heute sicher präsentieren. Ich sehe Gruppen, die nach dem dritten Fehlversuch nicht auseinanderfallen, sondern sich neu sortieren. Ich sehe Mathematikunterricht, der gleichzeitig ein Training in Resilienz, Teamarbeit und Klartext-Kommunikation ist.
Und das passiert nicht, weil ich einen Extra-Block „Soft Skills“ einbaue. Es passiert, weil BTC so gebaut ist.
Fazit: Substanz schlägt Routine
Frontalunterricht ist Routine: effizient, kontrolliert, berechenbar. Aber er bleibt eng. BTC ist Substanz: breit, leicht chaotisch, aber wirksam.
In Zeiten, in denen Machen wichtiger wird als Reproduzieren, brauchen unsere Kids keinen Platz am Fließband. Sie brauchen einen Schlüssel zum Makerspace.

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