Klassendienste – vom nervigen Ritual zum „Karma Booster“

Ich bin jetzt seit knapp vier Jahren Klassenlehrer. Und wenn ich eines gelernt habe: Ordnung im Klassenraum passiert nicht einfach so. Sie braucht vorgegebene Struktur und Ausdauer. Und einen, der sie ernst meint.

Ich habe wirklich viel probiert.

Süße laminierte Hinweisschilder. Akribisch zusammengesetzte Putzgruppen. Klassische Klassendienste. Frustriertes Schimpfen. Freundliche Appelle.

Gut gemeint. Gut gedacht.
Aber: Hat alles nicht funktioniert.
Mein Klassenraum sah nach einer Unterrichtsstunde oft aus, als hätte jemand ein Drittmittelprojekt zur Chaosforschung durchgeführt. Die Kinder wussten, trotz aller Schilder nie, wer gerade dran war. Und wenn jemand den Dienst nicht machte, passierte… nichts. Also machten ihn irgendwann nur noch die drei üblichen Verdächtigen. Der Rest zuckte mit den Schultern. Irgendwer macht’s schon. Es war einfach nur frustrierend. Mein Klassenraum sah scheiße aus. Über Jahre.

Und schlimmer noch: Ich hatte regelmäßig ein schlechtes Gewissen.

Wenn ich den Klassenraum verließ und im Flur schon unsere Reinigungskräfte sah – engagierte, herzliche Frauen, die ich mit Namen kenne – wusste ich: Die müssen jetzt durch dieses Chaos. Mühsam. Zeitdruck. Knapp über Mindestlohn. Ich habe mich miserabel gefühlt. Nicht, weil ich nichts getan hätte – sondern weil das, was ich tat, keine Wirkung hatte und andere es jeden Tag wegputzen mussten. Oft blieb ich selber länger und putzte nach.

Im letzten Jahr bin ich dann auf einen Beitrag von mr_napoles gestoßen. Ein amerikanischer Lehrer, der Klassendienste mit einfachen und klugen Regeln organisiert:

  1. Dienste in festen Teams.
  2. Verantwortung ist immer kollektiv.
  3. Kontrolle ist immer unangekündigt.
  4. Konsequenzen gibt es immer und sind nicht verhandelbar.

Ich habe das übernommen – und etwas angepasst.

Bei mir sind es jetzt Sechserteams, die wöchentlich rotieren. Drei Dienste: Putzdienst, Tafeldienst und Verteildienst.

Jede Dienstkarte (mit Canva erstellt) hängt im Klassenraum gut sichtbar. Daneben stehen die Namen des zuständigen Teams. Die Teams habe ich alphabetisch zusammengestellt, auf Blätter gedruckt, laminiert und wechsele sie wöchentlich durch.

Und: Ich nehme das sehr ernst.

Ich halte die Kinder jede einzelne Schulstunde für ihren Dienst verantwortlich. Nicht einmal am Tag. Nicht irgendwann. Nach jeder gottverdammten Stunde. Auch wenn ich selbst nicht unterrichte. Auch bei Lehrerwechsel. Ich habe meine Kolleg:innen vorab informiert und gebeten, die Dienste immer am Stundenende fest einzuplanen.

Damit das Ganze nicht ausufert, stelle ich oft einen Timer: 90 Sekunden. Das reicht. Aber eben nur, wenn alle mitmachen.
Und genau darum geht’s: Jede:r aus der Gruppe muss ran. Wenn sich eine:r rauszieht, wird’s eng. Und das weiß das Team. Das spürt sie.

Ich kontrolliere alles: Ob die Ordner korrekt und nach Farbe sortiert stehen. Ob die Tafel wirklich sauber ist – nicht nur „so halb“. Ob wirklich alle Stühle rangestellt sind. Ob in der letzten Ecke des Raumes nicht doch irgendwo Müll auf dem Boden liegt. Ich treibe es bis ins kleinste Detail. Es gibt keine Ausnahmen und Entschuldigungen.

Ich gehe regelmäßig in den Klassenraum – auch in den Pausen, oder wenn ich im Vertretungsplan wegen irgendwas anderem als ausgeplant stehe. Morgens. Nachmittags. Und wenn etwas nicht passt, greift der Karma Booster. Dieser hängt direkt neben der Tafel an einer Stange: vier Greifzangen, darunter zwei Putzeimer.

Ist der Raum nicht so dermaßen richtig in Ordnung, übernimmt das zuständige Team als pädagogische Konsequenz einen extra Hofdienst – nach Schulschluss, wenn die anderen längst auf dem Heimweg sind. Klar, ich musste dafür anfangs auch mal länger bleiben und meine Schüler:innen fanden es lautstark wtf. Aber ehrlich: Man macht das zwei, drei Mal konsequent – und danach läuft es mit der Sauberkeit fast von selbst. Wenn man dranbleibt und auch mal nachsteuert.

Ich habe das Ganze natürlich vorher ausführlich mit den Kindern besprochen – nicht nur organisatorisch, sondern vor allem moralisch und auch religiös. Fast alle meine Schüler:innen sind sehr gläubig. Und wenn man einmal gemeinsam hinschaut, merkt man schnell: Sauberkeit ist in jeder Religion ein zentrales Prinzip. Und plötzlich ging es nicht mehr nur um ein sauberes Klassenzimmer sondern um guten Charakter.

Deshalb nenne ich das Ganze auch bewusst: Karma Booster. Ich weiß, es klingt übertrieben. Es ist drüber. Definitiv.

Aber warum das Ganze?
Weil meine Schüler:innen das von zu Hause oft nicht kennen. Sie brauchen diese Struktur – nicht in kleinen, symbolischen Portionen, sondern in spürbarer, klarer Form und festen Abläufen. Denn viele meiner Kids kennen die Bedeutung von Regeln, Ordnung und gesellschaftlichem Miteinander nicht als etwas, das sie selbst betrifft. Es gibt selten jemanden, der ihnen zu Hause erklärt: „Das musst du tun, weil es moralisch und normativ geboten ist.“

Diese Lücke muss ich füllen – als Lehrer. Denn am Ende des Tages ist Ordnung eine Grundkompetenz. Sie hilft im Leben. Sie hilft im Praktikum. Sie hilft im Beruf. Wer später einen Arbeitsplatz sauber hält, wer mitdenkt, wer Verantwortung für sein Umfeld übernimmt, ist ein Schritt weiter. Nicht weil ich das sage, sondern weil das System eben so funktioniert.

Manche Kolleg:innen sagen dann: „Die Kinder brauchen auch ein bisschen Chaos.“ Vielleicht. Aber oft ist das auch eine Schutzbehauptung – weil man keine funktionierende Struktur hat oder weil der Aufwand abschreckt. Ich habe früher selbst so gedacht. Und ja, es ist anfangs aufwendig. Aber: Es lohnt sich.

Denn in einem sauberen Klassenraum unterrichtet man anders. Besser. Gern. Ist selber weniger nachlässig.

Und ja – mein Raum gehört inzwischen zu den durchgängig saubersten.

Nicht, weil das System perfekt ist. Sondern weil ich jeden Tag dranbleibe. Weil ich die Verantwortung ernst meine. Weil ich bereit bin, sie einzufordern. Und weil ich glaube: Ordnung ist nicht alles. Aber ohne Ordnung ist alles nichts.

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